Scheffelpreis 2024

09.07.2024

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Der Scheffelpreis wird in jedem Jahr an den Abiturienten oder die Abiturientin mit der besten Gesamtleistung im Fach Deutsch verliehen. Im Folgenden finden Sie die Rede der diesjährigen Scheffelpreisträgerin Svenja Albrecht. Viel Freude beim Lesen!

Liebe Mitschüler und Mitschülerinnen,
sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer, sehr geehrte Schulleitung,
sehr geehrte Eltern und Gäste,
diesen Preis zu gewinnen, bedeutet mir unglaublich viel. Dass ich heute hier stehen darf,
habe ich all meinen Deutschlehrerinnen von der Grundschule bis hin zur Jahrgangsstufe zu
verdanken, die mich stets begleitet, unterstützt und gefördert haben. Deutsch war schon
immer das Fach, das mir am meisten bedeutet hat, da es mein Interesse an Sprache und
Literatur geweckt hat.
Doch ist es überhaupt noch zeitgemäß, literarische Werke aus längst vergangenen
Jahrhunderten im Unterricht zu behandeln? Was bringen uns Gedichtanalysen für unser
weiteres Leben, wie können Werkvergleiche unsere Zukunft bereichern?
Viele sehen die ausführliche Beschäftigung mit Literatur vermutlich als bloße
Zeitverschwendung, vielleicht sogar als Qual an.
Aber gerade, als wir im Unterricht die Pflichtlektüre Woyzeck behandelt haben, wurde mir
bewusst, welch essentielle Fähigkeiten wir alle aus Deutsch mitnehmen können.
Denn Woyzeck, der von seinem sozialen und beruflichen Umfeld völlig unterdrückt wird,
muss dabei nicht nur unter physischen Misshandlungen leiden. Nein, man kann sagen, dass
die schwerwiegendste Form der Unterdrückung verbal erfolgt. Woyzeck wird sprachlich
von seinen Vorgesetzten gedemütigt, muss die entmenschlichenden Vergleiche des Doktors
ertragen und am Ende sind es die Stimmen in seinem eigenen Kopf, die ihn vollends in den
Wahnsinn treiben.
Am Beispiel Woyzecks zeigt sich, wie unglaublich mächtig Sprache ist.
Sprache kann Menschen verbinden, Frieden schließen, Grenzen überwinden. Worte können
trösten und lindern, Herzen heilen und Schmerz vermindern.
Aber Sprache kann auch anders. Denn mithilfe von Worten werden Menschen immer wieder
beeinflusst, manipuliert und verletzt. Mit ihnen kann die Realität nach Belieben verdreht
und verfälscht werden, um ganze Gruppen gegeneinander aufzuhetzen.
Doch der Deutschunterricht hat uns die Werkzeuge in die Hand gegeben, die Macht der
Sprache offenzulegen. Wenn wir Metaphern in einem Gedicht entdecken und entschlüsseln
können, dann werden wir diese auch in der Rede eines Politikers erkennen. Wenn wir den
Machtmissbrauch in Woyzeck erkennen, werden wir dies zukünftig auch bei einem
manipulativen Vorgesetzten wahrnehmen. Denn erst wenn wir erkennen, können wir
verstehen, auf welch subtile Weise unser Denken beeinflusst und manipuliert werden soll.
Nur wenn wir in der Lage dazu sind, die wahre Bedeutung hinter Worten zu entziffern,
können wir Polemik und Populismus von Tatsachen unterscheiden. Der Deutschunterricht
hat uns wie kein anderer beigebracht, kritisch an Texte, Aussagen und Reden heranzugehen
und den hässlichen Inhalt sehen zu können, der so oft durch eine schöne Form verborgen
wird. Der Deutschunterricht hat uns den Schlüssel in die Hand gegeben, mit dem wir uns die
Welt erschließen können.
Denn so beängstigend die Macht der Sprache sein mag, so nützlich kann sie auch für
denjenigen sein, der mit ihr umzugehen weiß.
Klarheit, Strukturiertheit und Eloquenz sind alles Tugenden, an die uns der
Deutschunterricht von Klein auf herangeführt hat. Tugenden, die das Rüstzeug für unser
ganzes Leben sind. Denn sie schützen uns nicht nur vor dem bereits erwähnten Missbrauch
der Sprache, sondern ermöglichen es uns auch, unseren eigenen Sprachgebrauch aktiv zu
gestalten und erfolgreich zu sein.
Wer sich gewählt ausdrücken kann, dem wird schneller Respekt und Anerkennung
entgegengebracht. Wer klar und strukturiert argumentiert, der kann einfacher von seiner
Position überzeugen und Menschen auf seine Seite ziehen. Gute sprachliche Kompetenzen
haben uns bereits während unserer Schulzeit auch in etlichen anderen Fächern geholfen, in
denen Lösungen präzise und gut verständlich dargestellt werden sollten. Und genau so
werden uns gute sprachliche Kompetenzen auch in unserem weiteren Leben helfen, sei es
im beruflichen oder privaten Umfeld.
Deshalb wünsche ich uns allen, dass wir in Zukunft von diesen Fähigkeiten Gebrauch
machen können. Dass uns der analytische Blick auf Sprache, der uns vermittelt wurde, ein
kleines Stück an Sicherheit in einer unsicheren Zukunft geben wird.
Aber heute möchte ich gedanklich nicht weiter in die Zukunft abschweifen, denn heute zählt
nur dieser Moment. Dieser Moment, in dem wir erkennen, wie stolz wir alle auf uns sein
können. Denn jetzt halten wir unsere Zeugnisse in den Händen, die der Lohn für unsere
jahrelange Arbeit sind.
Blätter, die uns die Welt bedeuten.